Einzungenweichen?!
In Japan gibt es einige Staedte, in denen die Strassenbahn (bislang) ueberlebt hat, nachdem etwa Anfang der 70er Jahre innerhalb kurzer Zeit die einstmals ausgedehnten Netze von Staedten wie Tokyo, Yokohama, Nagoya oder Kyoto stillgelegt (und zum guten Teil durch Metro-Linien ersetzt) wurden. Dazu ggf. demnaechst mehr, hier gehts um etwas was ich sonst zuvor noch nirgends bewusst gesehen hatte....Einzungenweichen!
Auf ersten Blick erinnern Strassenbahnbetriebe wie die hier gezeigte letzte verbliebene Strassenbahnlinie Sapporos (ca. 1,75 Mio EW) irgendwie an mittel/osteuropaeische Betriebe..... ...was das Aussehen und die recht funktionell-spartanische Ausstattung der Fahrzeuge und Fahrkomfort angeht. Auch in Hakkodate (ca. 300.000 EW) geht es eher romantisch zu, mit recht kleinen, oft alten und teils von stillgelegten japanischen Strassenbahnbetrieben uebernommenen Zweirichtungsfahrzeugen. Die Prozedur des manuellen Bezahlens beim Ausstieg (es wird der Fahrpreis von jeder Haltestelle bis zur aktuellen jeweils angezeigt) an der vordersten Tuer traegt nicht gerade zur Beschleunigung des Fahrgastwechsels bei. Doch irgendwie sehen die Verzweigungen wie auch Gleiswechsel (NB: in Japan herrscht Linksverkehr) ungewoehnlich aus, was sich bei genauerem Hinsehen bestaetigt: Alle Weichen, die ich in Sapporo wie auch Hakkodate gefunden habe, besitzen lediglich eine bewegliche Weichenzunge! Das jeweils gegenueberliegende Rad laeuft auf seinen Spurkranz auf, wird jedoch selbst nicht gefuehrt. Gibt es sowas ausserhalb Japans noch irgendwo? Kann ein eventuelles Aufschneiden (Auffahren) falsch gestellter Weichen wohl zu einer Entgleisung fuehren, so wie bei Schleppweichen? Ganz offensichtlich ist das "Einzungen-Bauprinzip" nicht auf typische Strassenbahn-Weichen beschraenkt: Im Depot der der Strassenbahnen von Sapporo (das ein ganzes Sammelsurium von Fahrzeugen, z.B. die im schneereichen Winter sicher dringend erforderlichen Raeumfahrzeuge mit Bambus-Besen, beherbergt) liegen ebenfalls Einzungenweichen, hier allerdings in eisenbahnaehnlicher Bauart, d.h. ohne dass auf die Spurkraenze aufgefahren wird. Ganz offensichtlich haben diese Einzungenweichen eine lange Tradition, so befindet sich ein Exemplar davon im Strassenbahnmuseum von Yokohama, dessen Strassenbahn 1972 den Kampf gegen den Individualverkehr zum Opfer gefallen ist. Mittlerweile habe ich gelernt, dass solche ind verwandte Weichenbauarten weltweit verbreitet sind bzw waren: Laut Joachim Schmid waren Einzungenweichen Bauart "Bethlehem Steel" jahrzehntelang Standard fast aller Strassenbahnbetriebe in den USA und sind noch heute auf den aelteren Strecken der ueberlebenden Betriebe zu finden. Ebenso sollen sie noch auf Anschluss-, Industrie- und Hafengleisen von Vollbahnen anzutreffen sein. Martin Bienwald (und anderen) zufolge hat man im ehemaligen Ostblock gute Chancen, noch Einzungenweichen anzutreffen. In England wurden solche Weichen lt. Christoph Heuer z.B. von Edgar Allen sowie Hadfield ("Hadura"-Patent), beide in Sheffield, hergestellt. Von dort duerften sie auch nach Lissabon gelangt sein, wo lt. Christoph Groneck auch Einzungenweichen anzutreffen sind. Selbst in Deutschland wird man fuendig, so z.B. in Mannheim auf der Kurpfalzbruecke (lt. Holger Koetting) oder in Freiburg im Herzen der Stadt am Bertoldsbrunnen (lt. Sebastian Holzmann, Foto CE), von wo die folgende Aufnahme stammt: Burkhard Dedy weiss von einem bis ca.1995 vorhandenem Exemplar in Essen am Karlsplatz. In Depots wurden noch in den 1980er Jahren ganze Weichenstrassen so ausgefuehrt, so im Betriebshof Handweiser in Duesseldorf (Stephan Winkler). Auch in Frankfurt/Main gibt es eine Einzungenweiche, am Betriebshof Bornheim (Oliver Fischer).©12/2000 claus@eulog.de